Schweizer Händler und «African Quality»
Die Eroberung des Zapfhahns
Ganz bestimmt kennen Sie BP, Shell oder Total. Aber kennen Sie Vitol und Trafigura? Tatsächlich sind diese Schweizer Rohstoffhandelsfirmen zu Giganten geworden. Vitol beispielsweise hat 2015 einen Umsatz von 168 Milliarden Dollar erwirtschaftet und operiert mit deutlich mehr Öltankern als BP oder Shell. Für Trafigura, 2013 das grösste ausländische Unternehmen in Afrika, ist der Kontinent nach Europa der wichtigste Markt. In den letzten fünf Jahren haben gerade diese beiden Firmen im grossen Stil ganze Tankstellennetze in zahlreichen afrikanischen Ländern aufgekauft. Dass das kaum jemand weiss, liegt daran, dass diese Gesellschaften ihre Tätigkeiten in grösster Diskretion abwickeln und ihren Treibstoff nicht unter ihren eigentlichen Namen vertreiben.
Die Tankstellen, an denen Vitol beteiligt ist, tragen das bekannte Logo von Shell, Trafigura operiert unter dem Namen «Puma Energy». Nur die kleinste der drei Genfer Firmen, die Addax&Oryx Group, schreibt ihren Namen auf die Zapfsäulen: «Oryx Energies».
Der Test: Was aus dem Zapfhahn kommt
Doch wie schmutzig ist das Benzin und der Diesel tatsächlich, den Schweizer Firmen an afrikanischen Tankstellen verkaufen? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden: Man muss den Treibstoff analysieren, der aus diesen Zapfsäulen kommt. Genau das haben wir getan. Wir haben an 25 Tankstellen in acht Ländern Benzin- und Dieselproben genommen – und diese von einem international renommierten Labor testen lassen.
Die Resultate sind schockierend: Ob in Ghana, in der Elfenbeinküste, in Mali oder im Senegal – wo wir auch Diesel-Proben nahmen, der Schwefelgehalt lag stets um das Hundertfache über dem in Europa geltenden Grenzwert. Die giftigste Probe, von einer Oryx-Tankstelle in Mali, wies einen Schwefelwert auf, der 378-mal so hoch war wie die europäische Grenznorm von 10 ppm (parts per million; Millionstel). Nicht ein Tropfen des von uns analysierten Treibstoffs dürfte in Europa verkauft werden.
Die giftigste Probe wies einen Schwefelwert auf, der 378-mal so hoch war wie die europäische Grenznorm von 10 ppm.
Und Schwefel ist nicht das einzige Gift im afrikanischen Treibstoff: Wir haben weitere gesundheitsschädigende Substanzen in Mengen gefunden, die in Europa verboten sind – Benzol oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe etwa.
Weil in den afrikanischen Ländern derart schwache Standards gelten, handeln diese Schweizer Firmen legal. Doch ihr Geschäftsmodell ist illegitim, weil es die Gesundheit der Menschen in diesen Ländern schlicht ignoriert. Gemäss den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte müssen Unternehmen die Menschenrechte und damit auch das Recht auf Gesundheit respektieren – und zwar auch über die im jeweiligen Land geltenden Bestimmungen hinaus.
Der Transport: Schmutziger Treibstoff aus dem sauberen Europa
Dass Afrika mit giftigem Treibstoff geflutet wird, ist umso absurder, wenn man bedenkt, dass gerade Westafrika erstklassiges Rohöl mit einem sehr tiefen Schwefelgehalt fördert. Nur: Weil die meisten westafrikanischen Länder über keine Raffinerien verfügen oder deren Kapazitäten nicht ausreichen, um das hochwertige Rohöl zu verarbeiten, wird der grösste Teil davon exportiert, nach Europa und anderswohin. Im Gegenzug importieren dieselben Länder giftigen Treibstoff aus Europa, und zwar vor allem aus einer ganz bestimmten Region: jener um Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen, bekannt als ARA-Region.
Je giftiger die Ladung, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass das Schiff Kurs auf Afrika nimmt.
Aus den Häfen dieser Städte werden Treibstoffe in die ganze Welt verschifft. Und: Je giftiger die Ladung, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass das Schiff Kurs auf Afrika nimmt. 80 Prozent des für Afrika bestimmten Diesels hat einen Schwefelgehalt, der mindestens hundert Mal so hoch ist wie der in Europa erlaubte. Wenn «African Quality» drinsteckt, steckt meist Europa dahinter.
Und unsere Recherche zeigt: Die Schweizer Rohstoffhandelsfirmen dominieren den Seehandelsweg zwischen der ARA-Region und Westafrika: Sie sind für 61 Prozent der Lieferungen verantwortlich, die wir für das Jahr 2014 auf dieser Route in westafrikanische Länder eindeutig identifizieren konnten.
Blending: Schweizer Giftmischer für Afrika
Die Schweizer Rohstoffhandelsfirmen haben massiv in der ARA-Region investiert, haben Tanklager und Raffinerien erworben.
Denn die Schweizer Händler begnügen sich nicht mit einer Rolle als Trader, der diese giftigen Treibstoffe transportiert und verkauft. Sie stellen sie selbst her! Sie nutzen die laschen Standards in Afrika aus, indem sie extra für diese Märkte qualitativ schlechten und giftigen Treibstoff produzieren.
Das funktioniert so:
Diesel und Benzin fliessen nicht als fertige Produkte aus den Anlagen der Raffinerien, sondern bestehen aus verschiedenen Mischkomponenten (Blendstocks). Die Händler kaufen diese Zwischenprodukte unterschiedlicher Qualität, mischen sie und stellen daraus Treibstoffe her. Diesen Schritt nennt man «Blending». Meist geschieht das an Land, gemischt werden kann aber auch an Bord von Tankern. Die Händler können das Produkt sehr fein variieren, je nach gewünschter Qualität und den geltenden Standards im Zielland. In der Konsequenz heisst das: Relativ sauberer Treibstoff für Europa, dreckiger für Afrika.
Dass Zwischenprodukte zur Treibstoffherstellung gemischt werden, ist üblich und legitim. Illegitim wird das Geschäftsmodell dann, wenn die Händler zu Giftmischern werden und «African Quality» herstellen: Sie mischen Treibstoffe für afrikanische Länder aus qualitativ schlechten, giftigen Blendstocks. Manchmal werden auch solche aus der Chemie- oder Abfallverwertungsindustrie beigemischt. Sie stellen also – in Europa – Diesel und Benzin her, das in Europa nie und nimmer verkauft werden dürfte – und maximieren so Ihre Gewinne. Das muss nicht sein: Die giftigen Mischkomponenten könnten und sollten entschwefelt und zu sauberem Treibstoff weiterbearbeitet werden.
© Fotografie: Fabian Biasio, 2016
© Fotografie: Carl De Keyzer, Magnum, 2016