«Dirty Diesel» – wie Schweizer Firmen Afrika mit giftigem Treibstoff fluten

Schweizer Rohstoffhandelsfirmen wie Trafigura nutzen die schwachen Standards in afrikanischen Ländern systematisch aus: Sie überschwemmen diese Märkte mit schmutzigen Treibstoffen, die in Europa niemals verkauft werden dürften – mit verheerenden Folgen für die Gesundheit der Menschen.

Luftverschmutzung in Afrika. Die Zeitbombe tickt.

Afrikas Millionenstädte werden täglich grösser. Bis 2050 dürfte sich die urbane Bevölkerung des Kontinents verdreifachen. Mehr Menschen heisst mehr Autos. Und mehr Autos bedeuten mehr Abgase, mehr Luftverschmutzung, mehr Krankheiten.

Die Luftverschmutzung in afrikanischen Städten ist schon heute ein gravierendes Problem für die öffentliche Gesundheit. Die Luftqualität in Dakar oder Lagos ist schlechter als im chinesischen Peking, der Stadt, die wegen ihres Smogs immer wieder Schlagzeilen macht. Gemäss einer aktuellen WHO-Studie ist die Luft im nigerianischen Onitsha so dreckig wie in keiner anderen Stadt der Welt – in hohem Masse wegen der Fahrzeugabgase. Sie sind eine der Hauptursachen für den schädlichen Feinstaub in der Luft, der Asthma und Bronchitis, Herz- und Krebserkrankungen verursacht.

Luftverschmutzung (Feinstaubbelastung in PM10) in verschiedenen Städten im Vergleich

Obwohl in Paris oder London deutlich mehr Autos unterwegs sind als in Lagos oder Dakar, ist die Luftqualität in diesen afrikanischen Städten viel schlechter. Woran liegt das?
Dass die Autos die Luft in Afrika viel mehr belasten als anderenorts, liegt vor allem am schmutzigen Treibstoff, mit dem sie getankt werden. Einer der Hauptverursacher von Feinstaub in Benzin und Diesel ist Schwefel. Zudem zerstört Schwefel Katalysatoren und Partikelfilter, die den Schadstoffausstoss moderner Fahrzeuge reduzieren. Deshalb hat man in Europa und Nordamerika den maximalen Schwefelgehalt im Treibstoff auf ein tiefes Niveau begrenzt. Mit unübersehbarem Erfolg: Der Ausstoss von Schadstoffen ist dramatisch zurückgegangen.

Ganz anders in vielen afrikanischen Ländern: Dort sind die Grenzwerte für den Schwefelgehalt auch heute noch mehrere hundert Mal höher angesetzt als in Europa. Unsere Recherche zeigt, dass in afrikanischen Ländern Treibstoffe mit einem Schwefelgehalt verkauft werden, der bis zu 378-mal über dem europäischen Maximalwert liegt.

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Geschieht nichts, werden im Jahr 2030 in Afrika aufgrund der verkehrsbedingten Luftverschmutzung schätzungsweise 31 000 Menschen vorzeitig sterben und unzählige chronisch erkranken. Das sind dreimal mehr Todesfälle durch verkehrsbedingte Luftverschmutzung als in Europa, den USA und Japan zusammen. Im Jahr 2050 dürften durch strengere Standards für Benzin und Diesel gar 100 000 Menschen vor einem frühzeitigen Tod bewahrt werden. Es ist Zeit, zu handeln!

Das führt zu dreimal mehr Todesfällen durch verkehrsbedingte Luftverschmutzung als in Europa, den USA und Japan zusammen.

Die afrikanischen Regierungen müssen die zulässigen Schwefelwerte auf das europäische Niveau senken. Doch sie sind nicht die einzigen Verantwortlichen: Die beteiligten Firmen profitieren - auf Kosten der Gesundheit der Menschen - vom Geschäft mit dem dreckigen Treibstoff, für den sie einen zynischen Namen gefunden haben: „African Quality“!

Die Recherchen von Public Eye bringen ein bisher kaum bekanntes globales Geschäftsmodell ans Licht. Der Bericht «Dirty Diesel» zeigt erstmals auf, wie Rohstoffhandelsfirmen die laschen afrikanischen Standards systematisch ausnutzen, um mit giftigem Treibstoff ihre Margen zu optimieren – auf Kosten der Gesundheit von Afrikanerinnen und Afrikanern. Und er zeigt auch: Viele der Hauptverantwortlichen haben ihren Sitz in einem Land, das nur all zu gerne seine Sauberkeit und ganz besonders auch seine saubere Luft bewirbt: der Schweiz. Schweizer Rohstoffhandelsfirmen dominieren das schmutzige Geschäft mit „African Quality“-Treibstoffen für Westafrika.

Erfahren Sie, wie dieses illegitime Geschäftsmodell funktioniert.

Schweizer Händler und «African Quality»

Die Eroberung des Zapfhahns

Ganz bestimmt kennen Sie BP, Shell oder Total. Aber kennen Sie Vitol und Trafigura? Tatsächlich sind diese Schweizer Rohstoffhandelsfirmen zu Giganten geworden. Vitol beispielsweise hat 2015 einen Umsatz von 168 Milliarden Dollar erwirtschaftet und operiert mit deutlich mehr Öltankern als BP oder Shell. Für Trafigura, 2013 das grösste ausländische Unternehmen in Afrika, ist der Kontinent nach Europa der wichtigste Markt. In den letzten fünf Jahren haben gerade diese beiden Firmen im grossen Stil ganze Tankstellennetze in zahlreichen afrikanischen Ländern aufgekauft. Dass das kaum jemand weiss, liegt daran, dass diese Gesellschaften ihre Tätigkeiten in grösster Diskretion abwickeln und ihren Treibstoff nicht unter ihren eigentlichen Namen vertreiben.

Die Tankstellen, an denen Vitol beteiligt ist, tragen das bekannte Logo von Shell, Trafigura operiert unter dem Namen «Puma Energy». Nur die kleinste der drei Genfer Firmen, die Addax&Oryx Group, schreibt ihren Namen auf die Zapfsäulen: «Oryx Energies».

Tankstellen in Afrika, die von Schweizer Rohstoffhändlern betrieben werden oder von Unternehmen, an denen diese beteiligt sind.

Der Test: Was aus dem Zapfhahn kommt

Doch wie schmutzig ist das Benzin und der Diesel tatsächlich, den Schweizer Firmen an afrikanischen Tankstellen verkaufen? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden: Man muss den Treibstoff analysieren, der aus diesen Zapfsäulen kommt. Genau das haben wir getan. Wir haben an 25 Tankstellen in acht Ländern Benzin- und Dieselproben genommen – und diese von einem international renommierten Labor testen lassen.

Die Resultate sind schockierend: Ob in Ghana, in der Elfenbeinküste, in Mali oder im Senegal – wo wir auch Diesel-Proben nahmen, der Schwefelgehalt lag stets um das Hundertfache über dem in Europa geltenden Grenzwert. Die giftigste Probe, von einer Oryx-Tankstelle in Mali, wies einen Schwefelwert auf, der 378-mal so hoch war wie die europäische Grenznorm von 10 ppm (parts per million; Millionstel). Nicht ein Tropfen des von uns analysierten Treibstoffs dürfte in Europa verkauft werden.

Schwefelgehalt in den analysierten Dieselproben (in parts per million / Millionstel, ppm)
Die giftigste Probe wies einen Schwefelwert auf, der 378-mal so hoch war wie die europäische Grenznorm von 10 ppm.

Und Schwefel ist nicht das einzige Gift im afrikanischen Treibstoff: Wir haben weitere gesundheitsschädigende Substanzen in Mengen gefunden, die in Europa verboten sind – Benzol oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe etwa.

Weil in den afrikanischen Ländern derart schwache Standards gelten, handeln diese Schweizer Firmen legal. Doch ihr Geschäftsmodell ist illegitim, weil es die Gesundheit der Menschen in diesen Ländern schlicht ignoriert. Gemäss den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte müssen Unternehmen die Menschenrechte und damit auch das Recht auf Gesundheit respektieren – und zwar auch über die im jeweiligen Land geltenden Bestimmungen hinaus.

Der Transport: Schmutziger Treibstoff aus dem sauberen Europa

Dass Afrika mit giftigem Treibstoff geflutet wird, ist umso absurder, wenn man bedenkt, dass gerade Westafrika erstklassiges Rohöl mit einem sehr tiefen Schwefelgehalt fördert. Nur: Weil die meisten westafrikanischen Länder über keine Raffinerien verfügen oder deren Kapazitäten nicht ausreichen, um das hochwertige Rohöl zu verarbeiten, wird der grösste Teil davon exportiert, nach Europa und anderswohin. Im Gegenzug importieren dieselben Länder giftigen Treibstoff aus Europa, und zwar vor allem aus einer ganz bestimmten Region: jener um Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen, bekannt als ARA-Region.

Je giftiger die Ladung, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass das Schiff Kurs auf Afrika nimmt.

Aus den Häfen dieser Städte werden Treibstoffe in die ganze Welt verschifft. Und: Je giftiger die Ladung, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass das Schiff Kurs auf Afrika nimmt. 80 Prozent des für Afrika bestimmten Diesels hat einen Schwefelgehalt, der mindestens hundert Mal so hoch ist wie der in Europa erlaubte. Wenn «African Quality» drinsteckt, steckt meist Europa dahinter.

Und unsere Recherche zeigt: Die Schweizer Rohstoffhandelsfirmen dominieren den Seehandelsweg zwischen der ARA-Region und Westafrika: Sie sind für 61 Prozent der Lieferungen verantwortlich, die wir für das Jahr 2014 auf dieser Route in westafrikanische Länder eindeutig identifizieren konnten.

Dieselexporte aus der ARA-Region, nach Destination und Schwefelgehalt (2014)

Blending: Schweizer Giftmischer für Afrika

Die Schweizer Rohstoffhandelsfirmen haben massiv in der ARA-Region investiert, haben Tanklager und Raffinerien erworben.
Denn die Schweizer Händler begnügen sich nicht mit einer Rolle als Trader, der diese giftigen Treibstoffe transportiert und verkauft. Sie stellen sie selbst her! Sie nutzen die laschen Standards in Afrika aus, indem sie extra für diese Märkte qualitativ schlechten und giftigen Treibstoff produzieren.

Das funktioniert so:

Diesel und Benzin fliessen nicht als fertige Produkte aus den Anlagen der Raffinerien, sondern bestehen aus verschiedenen Mischkomponenten (Blendstocks). Die Händler kaufen diese Zwischenprodukte unterschiedlicher Qualität, mischen sie und stellen daraus Treibstoffe her. Diesen Schritt nennt man «Blending». Meist geschieht das an Land, gemischt werden kann aber auch an Bord von Tankern. Die Händler können das Produkt sehr fein variieren, je nach gewünschter Qualität und den geltenden Standards im Zielland. In der Konsequenz heisst das: Relativ sauberer Treibstoff für Europa, dreckiger für Afrika.

Das Mischen («Blending») von «African Quality»-Treibstoffen

Dass Zwischenprodukte zur Treibstoffherstellung gemischt werden, ist üblich und legitim. Illegitim wird das Geschäftsmodell dann, wenn die Händler zu Giftmischern werden und «African Quality» herstellen: Sie mischen Treibstoffe für afrikanische Länder aus qualitativ schlechten, giftigen Blendstocks. Manchmal werden auch solche aus der Chemie- oder Abfallverwertungsindustrie beigemischt. Sie stellen also – in Europa – Diesel und Benzin her, das in Europa nie und nimmer verkauft werden dürfte – und maximieren so Ihre Gewinne. Das muss nicht sein: Die giftigen Mischkomponenten könnten und sollten entschwefelt und zu sauberem Treibstoff weiterbearbeitet werden.

Es eilt – und die Lösung ist bekannt

Treibstoffe mit unnötig hohem Schwefelgehalt müssen überall und rasch verboten werden. Die afrikanischen Regierungen müssen schnell strikte Schwefel-Standards für Benzin und Diesel einführen. Diese unkomplizierte Massnahme alleine würde den Schadstoffausstoss des Verkehrs halbieren. Würden zudem die vielen alten «Drecksschleudern» auf Afrikas Strassen durch neue, mit Katalysatoren und Partikelfiltern ausgerüstete Fahrzeuge ersetzt, wäre gar eine Reduktion um 99 Prozent möglich. Doch das geht nur mit schwefelarmem Treibstoff, der diese Technologien nicht zerstört.

Das Geschäftsmodell der Rohstoffhandelsfirmen, die diese schwachen Standards ausnutzen, um auf Kosten der Gesundheit von Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern ihren Gewinn zu maximieren, ist illegitim.

Unbezahlbar ist die Entschwefelung des Treibstoffs keineswegs: Würde man den Schwefelgehalt in Diesel von 1000ppm auf 10 ppm, den europäischen Grenzwert, senken, käme eine 50-Liter-Tankfüllung gerade mal 84 Rappen teurer zu stehen. Und das auch nur dann, wenn die Mehrkosten vollumfänglich von den Konsumierenden getragen werden, was durchaus nicht sein muss. Fünf ostafrikanische Länder haben 2015 den Grenzwert für Schwefel drastisch gesenkt. Die Mehrkosten konnten dabei auf die internationalen Handelsfirmen abgewälzt werden. Viel höher als die Ausgaben wären die Einsparungen: Die Weltbank hat berechnet, dass nur schon mit einem Schwefelgehalt in Diesel von 50ppm innert 10 Jahren in Afrika südlich der Sahara 7 Milliarden Dollar an Gesundheitskosten eingespart werden könnten.

Das Geschäftsmodell der Rohstoffhandelsfirmen, die diese schwachen Standards ausnutzen, um auf Kosten der Gesundheit von Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern ihren Gewinn zu maximieren, ist illegitim. Deshalb setzen sich zivilgesellschaftliche Organisationen aus Ghana, Nigeria, Mali und der Elfenbeinküste für griffige Treibstoff-Standards ein. Und sie fordern zusammen mit uns, dass Schweizer Unternehmen aufhören, diese Länder mit giftigem Treibstoff zu fluten – und auch für und in Afrika nur noch Benzin und Diesel mit einem möglichst geringen Gehalt an Schwefel und anderen giftigen Stoffen herstellen und verkaufen. Sie könnten von heute auf morgen damit beginnen. Sie wissen, wie es geht. Sie tun es Tag für Tag – für die Märkte des durch strengere Standards geschützten Europa.

Organisationen aus Ghana, Nigeria, Mali und der Elfenbeinküste fordern mit uns, dass Schweizer Unternehmen aufhören, diese Länder mit giftigem Treibstoff zu fluten.

Erfolg für DirtyDiesel-Kampagne

Die Kampagne DirtyDiesel wurde im November 2016 mit der Übergabe von 19071 Unterschriften an Trafigura beendet – mit grossem Erfolg: Dank des internationalen Medienechos konnten wir ein Bewusstsein für dieses bisher kaum bekannte, illegitime Geschäftsmodell wecken. Und obwohl Trafigura und andere Schweizer Rohstoffhändler ihre Verantwortung weiterhin nicht wahrnehmen, haben die politischen Behörden verschiedener afrikanischer Länder bereits auf die Veröffentlichung des Berichts reagiert. Ghanas Regierung hat im November 2016 den nationalen Schwefelstandard nach starken Protesten und der internationalen Medienöffentlichkeit massiv verbessert. Sie hat den staatlich erlaubten Schwefelgehalt für Dieselimporte per März 2017 von 3000 ppm (parts per million = Millionstel) auf 50 ppm gesenkt. Der europäische Standard beträgt 10 ppm. Im Dezember folgten auf einer Konferenz in Abuja fünf weitere westafrikanische Staaten: Nigeria (der mit Abstand grösste Treibstoffmarkt Afrikas), Benin, die Elfenbeinküste, Ghana, und Togo senkten ihre Standards ebenfalls auf 50ppm. Es ist deshalb davon auszugehen, dass weitere westafrikanische Länder folgen werden.

Auch in der ARA-Region (Amsterdam-Rotterdam-Antwerpen), wo die „African Quality“ hauptsächlich produziert wird, hat der „Dirty Diesel“-Report einen politischen Prozess in Gang gesetzt. So hat der Amsterdamer Stadtrat beschlossen, die Produktion und den Export von DirtyDiesel im Amsterdamer Hafen zu verbieten.

Engagieren Sie sich mit uns!

Gemeinsam mit seinen afrikanischen Partnern wird Public Eye weiter gegen den Import und Vertrieb toxischer Treibstoffe kämpfen. Die von den skandalösen Doppelstandards profitierenden Rohstoffunternehmen wie auch die Regierungen der produzierenden und importierenden Länder müssen umgehend handeln, damit das Recht auf Gesundheit der betroffenen Bevölkerung endlich gewährleistet wird.

Wir von Public Eye sind der Meinung, dass Schweizer Firmen auch bei ihren globalen Geschäften eine Verantwortung tragen. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass auch ihre Tochterfirmen die Menschenrechte einhalten und die Umwelt schützen. Daher haben wir – gemeinsam mit einer Koalition von 80 Schweizer Organisationen – die Konzernverantwortungsinitiative lanciert und 2016 eingereicht. Und wir setzen uns als Organisation für jene Menschen ein, deren Rechte durch das Handeln von Schweizer Unternehmen verletzt werden – denn globale Gerechtigkeit beginnt bei uns.

Engagieren Sie sich mit uns für eine Wirtschaft, welche Menschenrechte und Umwelt schützt!

© Fotografie: Fabian Biasio, 2016
© Fotografie: Carl De Keyzer, Magnum, 2016

Schluss mit dem schmutzigen Treibstoffgeschäft.